37: StrTB: "Betrieb illegaler Internet-Handelsplattformen" (§ 127 StGB)

LB37: Geplanter Straftatbestand § 127 StGB: “Betrieb illegaler Internet-Handelsplattformen” (mit Dr. Oliver Kipper)

Früher litten wir an Verbrechen, heute an Gesetzen.
Tacitus

In dieser Folge sprechen Frank und Dr. Oliver Kipper über den derzeit geplanten Entwurf des Straftatbestandes "Betrieb illegaler Handelsplattformen im Internet" (geplant als neuer § 127 StGB).

Diese Folge behandelt einen Entwurf des geplanten § 127 StGB. Hier gilt besonders: Die Inhalte der Folge können sich zwischenzeitlich überholt haben.

01:20 Vorstellung Thema und Gast: Dr. Oliver Kipper

Unter dem Link zu Oliver findet ihr auch alle angesprochenen Referenzen zu seiner Tätigkeit.

Themen dieser Folge:

  • Welche Taten sollen unter dem besprochenen Entwurf des § 127 StGB (April 2021) unter Strafe gestellt werden?
  • Wie schätzt Oliver den geplanten Entwurf ein?
  • Warum ist das geplante Vorhaben problematisch?
  • Spielt § 42 BDSG eine wahrnehmbare Rolle (off-topic)?

09:15 Strafbarkeit "Betreiben illegaler Handelsplattformen im Internet"

§ 127 – Betreiben krimineller Handelsplattformen im Internet

(1) Wer eine Handelsplattform im Internet betreibt, deren Zweck darauf ausgerichtet ist, die Begehung von rechtswidrigen Taten zu ermöglichen oder zu fördern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. Ebenso wird bestraft,wer absichtlich oder wissentlich eine Server-Infrastruktur für eine Tat nach Satz 1 bereitstellt. Rechtswidrige Taten im Sinne des Satzes 1 sind

  1. Verbrechen

  2. Vergehen nach

    1. den §§ 86, 86a, 91, 130, 147 und 148 Absatz 1 Nummer 3, den §§ 149, 152a, 152b und 176a Absatz 2, § 176b Absatz 2, § 180 Absatz 2, § 184b Absatz 1 Satz 2, § 184c Absatz 1, § 184l Absatz 1 und 3, den §§ 202a, 202b, 202c, 202d, 232 und 232a Absatz 1, 2, 5 und 6, § 232b Absatz 1, 2 und 4 in Verbindung mit § 232a Absatz 5 sowie den §§ 233, 233a,236, 259, 260, 263, 263a, 267, 269, 275, 276, 303a und 303b [StGB],

    2. § 4 Absatz 1 bis 3 des Anti-Doping-Gesetzes

    3. § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, auch in Verbindung mit Absatz 6, und Absatz 2 sowie 3 des Betäubungsmittelgesetzes

    4. § 19 Absatz 1 bis 3 des Grundstoffüberwachungsgesetzes

    5. § 4 Absatz 1 und 2 des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes

    6. § 95 Absatz 1 bis 3 des Arzneimittelgesetzes

    7. § 52 Absatz 1 Nummer 1 und 2 Buchstabe b und c, Absatz 2 und 3 Nummer 1 und 7 sowie Absatz 5 und 6 des Waffengesetzes

    8. § 40 Absatz 1 bis 3 des Sprengstoffgesetzes

    9. § 13 des Ausgangsstoffgesetzes

    10. den §§ 143, 143a und 144 des Markengesetzes sowie

    11. den §§ 51 und 65 des Designgesetzes.

(2) Handelsplattform im Internet im Sinne dieser Vorschrift ist jede virtuelle Infrastruktur im frei zugänglichen wie im durch technische Vorkehrungen zugangsbeschränkten Bereich des Internets, die Gelegenheit bietet, Menschen, Waren, Dienstleistungen oder Inhalte (§ 11 Absatz 3) anzubieten oder auszutauschen.

(3) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer im Fall des Absatzes 1 Satz 1 gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.

(4) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer bei der Begehung einer Tat nach Absatz 1 Satz 1 beabsichtigt oder weiß, dass die Handelsplattform im Internet den Zweck hat, Verbrechen zu ermöglichen oder zu fördern.

Wir sprechen über die Tatbestandsmerkmale und die Qualifikationen (Verschärfungen) in den Absätzen 3 und 4.

Ein wesentlicher Kritikpunkt von Oliver ist, dass die Qualifikation des Abs. 3 (Gewerbsmäßigkeit) praktisch immer erfüllt sein und damit den Grundfall darstellen dürfte.

17:05 Begleitende Änderungen der §§ 100a, 100b StPO

Auch diese Änderungen würden zu einer weiteren Erweiterung der Kompetenzen der Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung führen.

20:20 Tatbestandsmerkmale der geplanten Vorschrift

Wir sprechen über die Tatbestandsmerkmale (TBM).

20:20 TBM: "Handelsplattform im Internet"
(inkl. einer groben Definition des Darknet)

23:30 TBM: bestrafter Zweck
Wir grenzen hier die "normalen" Online-Plattformen von den hier intendierten Plattformen ab.

26:00 Abgrenzung der drei Vorsatzarten von Fahrlässigkeit
Wir grenzen Vorsatz ersten Grades (auch "Absicht" genannt), Vorsatz 2. Grades (sicheres Wissen) und Eventualvorsatz von Fahrlässigkeit ab.

28:25 TBM: Betrieb (der Plattform)

Ab 30:45 reden wir kurz über Versuchsstrafbarkeit.

31:20 Wer macht sich strafbar?

Oliver führt aus, dass sich juristische Personen (also z. B. das Unternehmen, dem die Plattform "gehört") bisher nicht selbst strafbar machen können, dass es aber Bewegungen gibt, ein Unternehmensstrafrecht einzuführen.

Da es bisher kein Unternehmensstrafrecht gibt, muss eine oder müssen mehrere natürliche Personen gefunden werden, die etwas Strafbares getan hat. Wir reden in dem Zusammenhang auch über Beihilfe und darüber, wie viele Strafverfahren bei Geschehnissen wie z. B. dem Diesel-Skandal "herausfallen".

38:08 Konsequenzen der geplanten Vorschrift

Nach Olivers Ansicht ist die hier besprochene Vorschrift aus mehreren Gründen nicht zu begrüßen. Erstens schließt sie keine Strafbarkeitslücken, sondern würde auch zu einer erheblichen Verschärfung von Strafrahmen in einer Weise führen, die das hier unter Strafe gestellte Verhalten härter bestrafen als manch andere Delikte mit deutlich schwerer wiegenden Konsequenzen für die Opfer. Sie schließt deshalb keine Strafbarkeitslücken, weil das hier bedrohte Verhalten auch nach bisheriger Rechtslage schon strafbar ist und die Ermittlungsbehörden auch bisher schon Zugriff auf die für das Strafverfahren nötigen Informationen haben.

In diesem Zusammenhang sprechen wir über die Strafverfahren "Deutschland im Deepweb" und "Chemical Revolution".

Oliver führt ab 50:50 Oliver aus, dass Richter die schärfsten Gegner von Strafverschärfungen sind, dass deren größte Hürde gar nicht zu milde, sondern zu hohe Strafrahmen.

56:55 Wie wertet die Staatsanwaltschaft große Datenmengen aus?

Oliver beschreibt, dass und wie Staatsanwaltschaften sich die Unterstützung privater Anbieterinnen als Sachverständiger hinzuholen und warum/inwiefern das Probleme aufwirft.

In diesem Zusammenhang sprechen wir über den Fall der Staatsanwaltschaft Frankfurt, in dem ein Staatsanwalt immer wieder dasselbe Unternehmen mit entsprechenden Diensten beauftragt hat und entsprechende Aufträge auch Untergebenen vorgegeben haben soll.

68:35 Auch Beschuldigte können (oft) große Datenmengen nicht auswerten

Selbst wohlhabende Angeklagte können regelmäßig keine eigenen Auswertungen großer Datenmengen vornehmen und sind deshalb auf die Filterung der Inhalte durch die Staatsanwaltschaft bzw. der von ihr beauftragten Unternehmen angewiesen. Diese "doppelte Vorfilterung" ist tendenziell für die Chancengleichheit der Parteien problematisch.

Ab 73:00 sprechen wir darüber, dass und warum dieses Phänomen allerdings keine Auswirkungen auf den landläufig bekannten Grundsatz "in dubio pro reo" ("im Zweifelsfall für den Angeklagten") hat.

74:40 (Off-Topic) Spielt § 42 BDSG in Olivers Tätigkeit eine Rolle?

Nein. Und er kennt auch keinen Fall im Bekanntenkreis, in dem das so war. :)

76:30 Fazit

  • Oliver hält den geplanten § 127 StGB für überflüssig. Er hat keinen neuen Regelungsgehalt, und die Festlegung des Zweckes auf illegale Handelsplattformen kann möglicherweise sogar Verteidigungsraum in manchen Fällen schaffen.
  • Der Strafrahmen des geplanten § 127 StGB könnte allein deshalb eine Neuerung schaffen, weil er einen enorm hohen Strafrahmen definiert und damit Verhalten unverhältnismäßig hoch bestraft wird.
  • Dieses Gesetzgebungsvorhaben sehen wir eher als Aktionismus.
  • Wenn Oliver sich das aussuchen könnte, würde dieses Gesetzgebungsverfahren sofort ersatzlos beendet.

Feedback und Wünsche gern per E-Mail an podcast@stiegler-legal.com oder twittern an @legal_bits, @kipper_oliver oder @ra_stiegler!

Die Einsprecher kommen wie immer von Sarah Nakic aus Brühl bei Köln.


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