Filesharing: Achtung: Die Versendung der Abmahnung kann ausreichen!

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Abmahnung wegen Filesharing erhalten? Überlegen Sie, das Abmahnschreiben "einfach verschwinden" zu lassen? Die Gegenseite muss ja im Ernstfall vor Gericht den Zugang des Schreibens beweisen, oder? Warum sonst raten Juristen bei wichtigen Schreiben dazu, sie als Einschreiben zu schicken?

Vorsicht bitte: Eine Abmahnung ohne Weiteres wegzuwerfen kann teuer werden.

Was ich hier ausführe, spiegelt nicht meine persönliche Meinung wider, sondern ich berichte von einem aktuellen Fall, in dem mein Mandant tatsächlich keine Abmahnung erhalten hatte und in dem mein Mandant vor Gericht unterlag.

Grundsätzliches zum Thema "Zugang"

Ein Blick ins Gesetz hilft, sollte man meinen. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB besagt:

"Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht."

Zugang also, nicht Absendung.

Außerdem muss nach einem elementaren zivilprozessualen Grundsatz jede Partei dasjenige beweisen, das für sie vorteilhaft ist. Das heißt: Die abmahnende Partei muss im Ernstfall den Zugang beweisen, nicht die Gegenpartei, dass das Schreiben nicht zugegangen ist.

Mir ist natürlich bewusst, dass es ein Leichtes ist, pauschal zu behaupten, man habe ein Schreiben nicht erhalten. Ein solches pauschales Bestreiten wird in einem solchen Fall gern als "Schutzbehauptung" bezeichnet.

Was geschehen war

Vor Kurzem vertrat ich jemanden als Beklagten gegen Koch Media GmbH (vertreten von rka Rechtsanwälte Reichelt Klute Aßmann aus Hamburg) wegen einer behaupteten Urheberrechtsverletzung (es ging um 'Das verlorene Labyrinth'). Meinem Mandanten wurde vor Gericht vorgeworfen, den Film über Bittorrent verbreitet zu haben. Mein Mandant hatte allerdings vor Beginn des Gerichtsverfahrens nie eine Abmahnung erhalten. Er rief mich zum ersten Mal an, als er den Mahnbescheid bekommen hatte. Nach meiner Erfahrung ist es sehr ungewöhnlich, dass eine Kanzlei direkt einen Mahnbescheid beantragt, ohne vorher abgemahnt zu haben, weil die klagende Partei dann das Risiko trägt, auf den Kosten des Rechtsstreits sitzen zu bleiben, weil die beklagte Partei sofort anerkennen kann. Das erste Schreiben, das er erhielt, war aber tatsächlich der Mahnbescheid.

In einem Mahnbescheid wird der geltend gemachte Anspruch nicht präzisiert. Mein Mandant hatte weder von der Anspruchstellerin noch von der Anwaltskanzlei je gehört. Im Gerichtsverfahren trug die Klägerin auf mein Bestreiten des Zugangs der Abmahnung (genauer gesagt sprach sie in den Schriftsätzen von "mehreren" Schreiben) diverse Sachverhaltsbehauptungen vor, die allesamt die Absendung belegten, aber nicht den Zugang bewiesen.

So trug sie vor,

  • sie habe von meinem Mandanten keinen "Rückläufer" erhalten, und
  • die Abmahnung sei "im ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb gefertigt, ausgedruckt, eingetütet, frankiert und auf den Postweg gebracht worden", und zwar "zeitgleich mit einer Vielzahl weiterer Abmahnungen - 576 an der Zahl".

Der Ablauf wurde im Einzelnen geschildert, die damit betrauten MitarbeiterInnen wurden namentlich genannt und als Zeugen angeboten, und ein Protokoll "Abmahnungen [Datum]" wurde als Anlage beigefügt. Um die Argumentationslinie zu unterstreichen, wurde auf einen Beschluss des BGH vom 21.12.2006 (Az. I ZB 17/06) verwiesen, in dem die Beweislast zu Lasten des vermeintlich Abgemahnten umgekehrt wurde, der aber einen wesentlich anderen Fall betraf, nämlich den, dass der Abgemahnte eine Unterlassungserklärung abgegeben und gleichzeitig behauptet hat, er habe keine Abmahnung erhalten. Dass ihn dann die Beweislast trifft, verwundert nicht; denn es mag natürlich verwundern, wieso jemand eine Unterlassungserklärung abgibt, wenn er gar keine Abmahnung erhalten hat. In unserem Fall hatte mein Mandant aber keine Unterlassungserklärung abgegeben.

Kurzum: Die Klägerin konnte den Zugang nicht beweisen, sondern nur die Absendung belegen. Mein Mandant hatte aber nie eine Abmahnung von der Klägerin erhalten und schon gar nicht mehrere Schreiben, wie die Klägerin im Schriftsatz behauptet hatte.

Der Beklagte solle den Nichtzugang substanziert bestreiten

Die Klägerin forderte von meinem Mandanten, substanziert zu bestreiten, dass er eine Abmahnung erhalten habe. Auf meinen Hinweis, mein Mandant könne gar nichts Weiteres tun, weil sie ihm schlicht nicht zugegangen sei, führte die Klägerin aus, er müsse z. B. darlegen, es seien schon mehrfach Poststücke verschwunden. Es könne außerdem sein, so führte sie weiter aus, dass jemand anderes in seinem Haushalt die Abmahnung habe "verschwinden" lassen; das passiere immer wieder in Fällen, in denen z. B. die Ehefrau des Abgemahnten nicht möchte, dass der Ehemann wütend wird, und deshalb den Brief wegwirft.

Mein Mandant hatte hier folgende "Probleme":

  • Es gab in seinem Haushalt keine weiteren Personen mit Zugriff auf seinen Briefkasten. Es ist -- abgesehen von dem Fall, dass jemand anderes aus seinem 60-Parteien-Wohnhaus mutwillig seine Post mit filigranem Werkzeug aus dem Briefkasten gefischt hat -- ausgeschlossen, dass jemand anderes das/die Schreiben hat verschwinden lassen.
  • Er kann sich nicht daran erinnern, dass jemals ein Schreiben "in der Post verschwunden" wäre.

Ich blieb dabei, die Abmahnung sei nicht zugegangen.

Die Richterin folgte dennoch der Klägerseite

Die Richterin hörte sich mein Vorbringen an und folgte am Ende der Klägerin. Sie gab mir zwar Recht, der Beklagte könnte nichts weiter tun, wenn er "einfach keine Abmahnung erhalten hat", war am Ende aber dennoch überzeugt, dass ihm die Abmahnung (oder vielleicht auch die Abmahnungen; darauf wurde nicht weiter eingegangen) zugegangen sei.

Die Moral von der Geschicht'

Verlassen Sie sich bitte nicht auf den Grundsatz, dass Zugang zu beweisen ist. Richter sind in ihrer Auslegung frei und dafür nicht zu belangen. Überlegen Sie sich gut, ob Sie in einem Fall wie dem hier beschriebenen nicht eigeninitiativ die Gegenseite kontaktieren. Sie sollten nach Möglichkeit herausfinden, was Ihnen vorgeworfen wird. Wenn Sie tatsächlich etwas heruntergeladen haben, können Sie in manchen Fällen um die Kosten eines Gerichtsverfahrens herumkommen, und das kann für Sie billiger sein als die Zahlung des oft mit Filesharing-Abmahnungen geltend gemachten Betrages.


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